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Was sind Scope 1, Scope 2 und Scope 3 Emissionen? Messung, Methoden und aktuelle Entwicklungen 2025

Die Kategorisierung von Treibhausgasemissionen in Scope 1, 2, 3 bildet die Grundlage für CO2-Emissionen und systematisches Carbon Accounting. Während Scope 1 direkte Emissionen aus eigenen Quellen umfasst und Scope 2 indirekte Emissionen aus eingekaufter Energie betrifft, deckt Scope 3 die gesamte Wertschöpfungskette ab – oft den größten Emissionsblock überhaupt. Das Greenhouse Gas Protocol definiert diese Standards seit über zwei Jahrzehnten, doch aktuell verschärfen sich die Anforderungen erheblich: Die CSRD verlangt detaillierte Scope-3-Offenlegung, das GHG Protocol durchläuft einen umfassenden Update-Prozess, und die Science Based Targets Initiative erhöht den Druck auf datengestützte Reduktionsziele. Für KMU bedeutet das konkret: Wer heute noch mit Excel-Listen jongliert oder die Lieferkette ausklammert, wird morgen vor prüfungsrelevanten Lücken stehen.

Die Grundlage: Warum das GHG Protocol Emissionen in Scopes unterteilt

Bevor wir in die Details der einzelnen Emissionskategorien einsteigen, lohnt sich der Blick auf die Entstehungsgeschichte. Das Greenhouse Gas Protocol entstand nicht als theoretisches Konstrukt im Elfenbeinturm, sondern aus der praktischen Notwendigkeit heraus, Treibhausgasemissionen vergleichbar und doppelzählungsfrei zu erfassen. Als das World Resources Institute und der World Business Council for Sustainable Development 1998 die Initiative starteten, stand eine Frage im Mittelpunkt: Wie können Unternehmen ihre Klimawirkung so dokumentieren, dass unterschiedliche Organisationen, Branchen und Standorte sinnvoll miteinander verglichen werden können?

Die Antwort war die Differenzierung in Scope 1, Scope 2 und Scope 3. Diese Kategorisierung trennt systematisch zwischen direkten und indirekten Emissionen und verhindert, dass dieselben Emissionen mehrfach gezählt werden. Wenn beispielsweise ein Logistikunternehmen Diesel für seine Fahrzeugflotte verbrennt, fallen diese Emissionen als Scope 1 an. Für den Kunden, der diese Transportdienstleistung nutzt, zählen genau diese Emissionen jedoch zu Scope 3 – ohne dass sie doppelt in die globale Klimabilanz eingehen.

Das klingt technisch, hat aber direkten Bezug zur Klimakrise: Das Pariser Klimaabkommen von 2015 verpflichtete die internationale Gemeinschaft, den globalen Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Dafür müssen Treibhausgasemissionen bis zur Jahrhundertmitte auf netto null sinken. Ohne standardisierte Bilanzierung nach dem GHG Protocol wäre weder eine Zielsetzung noch eine Fortschrittsmessung möglich.

Scope 1 Emissionen: Direkte Kontrolle am eigenen Standort

Scope 1 umfasst alle direkten Emissionen, die unmittelbar aus Quellen stammen, die euer Unternehmen besitzt oder kontrolliert. Das betrifft klassischerweise die Verbrennung fossiler Brennstoffe in eigenen Anlagen, Fahrzeugen oder Gebäuden. Wer mit Gas heizt, Diesel in der Firmenflotte verbrennt oder Produktionsprozesse mit Kohle oder Öl betreibt, generiert Scope-1-Emissionen.

Die Abgrenzung erscheint zunächst einfach: Alles, was direkt aus eurem Schornstein, Auspuff oder eurer Anlage austritt, fällt in diese Kategorie. Tatsächlich gibt es aber durchaus Grenzfälle. Nehmen wir geleastes Equipment: Ein Firmenwagen im Leasing gehört rechtlich der Leasinggesellschaft, steht aber unter eurer operativen Kontrolle. Nach GHG Protocol zählt er trotzdem zu Scope 1, wenn ihr die operative Hoheit habt. Anders sieht es aus, wenn ihr Räumlichkeiten mietet und der Vermieter die Heizungsanlage betreibt – dann rutschen diese Emissionen in Scope 3.

Für produzierende Unternehmen macht Scope 1 oft einen erheblichen Teil der Klimabilanz aus. Wer Maschinen mit Verbrennungsmotoren betreibt, Hochöfen nutzt oder chemische Prozesse steuert, bei denen Treibhausgase freigesetzt werden, findet hier die größten Hebel. Im Handwerk sind es häufig Fahrzeuge und mobile Arbeitsgeräte. Im Dienstleistungssektor dagegen fällt Scope 1 tendenziell kleiner aus – es sei denn, ihr betreibt eine eigene Heizzentrale oder einen größeren Fuhrpark.

Die Reduktion von Scope-1-Emissionen liegt weitgehend in eurer direkten Kontrolle. Fahrzeugflotten lassen sich elektrifizieren, Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzen, Produktionsprozesse können auf erneuerbare Energieträger umgestellt werden. Genau deshalb verlangen sowohl das GHG Protocol als auch die CSRD eine vollständige Erfassung aller Scope-1-Quellen – ohne Ausnahmen.

Scope 2 Emissionen: Indirekte Verantwortung für eingekaufte Energie

Scope-2-Emissionen entstehen nicht direkt am eigenen Standort, sondern bei der Erzeugung von Energie, die ihr einkauft. Das betrifft vor allem Strom, aber auch Fernwärme, Dampf oder Kühlleistung aus externen Quellen. Die Emissionen fallen im Kraftwerk oder Heizkraftwerk an, doch die Verantwortung trägt das einkaufende Unternehmen.

Hier wird es methodisch interessant, denn das GHG Protocol unterscheidet zwischen zwei Berechnungsansätzen: location-based und market-based. Die location-based Methode rechnet mit dem durchschnittlichen Emissionsfaktor des Stromnetzes, aus dem ihr eure Energie bezieht. In Deutschland bedeutet das: Der Strommix aus Kohle, Gas, Wind und Solar bestimmt den Emissionsfaktor. Die market-based Methode hingegen berücksichtigt, welchen Strom ihr tatsächlich einkauft. Wer Ökostrom mit Herkunftsnachweisen bezieht, kann unter Umständen Scope-2-Emissionen deutlich reduzieren oder sogar auf null setzen.

Diese Differenzierung sorgt in der Praxis durchaus für Diskussionen. Kritiker argumentieren, dass der Kauf von Herkunftsnachweisen zwar bilanziell wirkt, aber nicht zwingend zusätzliche erneuerbare Kapazitäten schafft. Befürworter verweisen darauf, dass Nachfrage nach grünem Strom langfristig die Energiewende beschleunigt. Das GHG Protocol verlangt mittlerweile, dass Unternehmen beide Methoden offenlegen – sowohl den location-based als auch den market-based Wert. So bleibt transparent, wie viel der Reduktion aus tatsächlichen Infrastrukturmaßnahmen resultiert und wie viel aus strategischem Energieeinkauf.

Für viele Dienstleister und Bürobetriebe macht Scope 2 den größten Anteil der direkt beeinflussbaren Emissionen aus. Wer wenig Scope 1 hat, weil keine eigenen Heizkessel oder Fahrzeugflotten existieren, findet in Scope 2 den schnellsten Hebel. Der Wechsel zu Ökostrom lässt sich oft innerhalb weniger Wochen umsetzen – jedenfalls schneller als die Umrüstung einer Produktionsanlage. Gleichzeitig ist Vorsicht geboten: Die unterschätzte Macht der Scope-2-Optimierung zeigt, dass hier oft Potenziale brachliegen, die mit überschaubarem Aufwand gehoben werden können.

Scope 3 Emissionen: Die gesamte Wertschöpfungskette im Blick

Während Scope 1 und Scope 2 noch relativ klar umrissen sind, wird es bei Scope 3 komplex. Hier geht es um alle indirekten Emissionen, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette entstehen – sowohl vorgelagert bei Lieferanten als auch nachgelagert bei der Nutzung eurer Produkte oder Dienstleistungen. Das GHG Protocol unterteilt Scope 3 in insgesamt 15 Kategorien, die sich in vorgelagerte (upstream) und nachgelagerte (downstream) Emissionen gliedern.

Vorgelagerte Scope-3-Kategorien: Vom Einkauf bis zur Anreise

Vorgelagerte Emissionen entstehen, bevor eure eigentlichen Produkte oder Dienstleistungen das Haus verlassen. Das fängt bei eingekauften Waren und Dienstleistungen an – eine Kategorie, die für viele Unternehmen den größten Scope-3-Block darstellt. Jedes Material, jedes Zwischenprodukt, jede externe Beratungsleistung trägt einen CO₂-Rucksack mit sich. Auch Investitionsgüter wie Maschinen, Gebäude oder IT-Infrastruktur fallen hierunter, allerdings gesondert erfasst, weil sie über mehrere Jahre genutzt werden.

Brennstoff- und energiebezogene Emissionen, die nicht bereits in Scope 1 oder Scope 2 auftauchen, bilden eine weitere Kategorie. Das betrifft beispielsweise die Vorkette der Stromerzeugung – also Emissionen beim Abbau und Transport von Kohle, bevor sie im Kraftwerk verfeuert wird. Vorgelagerter Transport und Vertrieb erfasst alle Logistikleistungen, die Dritte für euch erbringen, sei es der Transport von Rohmaterialien zu euch oder die Distribution an Zwischenhändler.

Dann gibt es die eher betriebsinternen Kategorien: Geschäftsreisen eurer Mitarbeitenden, das Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsplatz sowie Abfall, der in eurem Betrieb anfällt. Geleaste Anlagen, die ihr nicht besitzt, aber operativ nutzt, runden die vorgelagerten Kategorien ab. Wer schon einmal versucht hat, Pendelemissionen zu erfassen, weiß, wie aufwendig das werden kann – gerade wenn keine strukturierten Mobilitätsdaten vorliegen.

Nachgelagerte Scope-3-Kategorien: Was nach dem Verkauf passiert

Nachgelagert wird es nicht minder komplex. Der Transport eurer Produkte zu Endkunden, sofern nicht in eurer Kontrolle, zählt hier hinein. Ebenso die Weiterverarbeitung eurer Zwischenprodukte durch Dritte. Ein klassisches Beispiel: Ihr liefert Chemikalien, die ein Kunde in seiner Produktion einsetzt – dessen Emissionen bei der Verarbeitung landen in eurem nachgelagerten Scope 3.

Besonders relevant wird die Kategorie „Nutzung verkaufter Produkte". Wenn ihr Maschinen, Fahrzeuge oder energieintensive Geräte verkauft, entstehen während der Nutzungsphase beim Kunden oft erhebliche Emissionen. Für produzierende Unternehmen kann diese Kategorie den Scope-3-Anteil dominieren. Ein Automobilhersteller trägt bilanziell die Verantwortung für alle Emissionen, die während der gesamten Lebensdauer der verkauften Fahrzeuge anfallen – ein Vielfaches dessen, was in der Produktion selbst entsteht.

Das End-of-Life verkaufter Produkte erfasst Emissionen aus Entsorgung, Recycling oder Verbrennung. Nachgelagerte geleaste Anlagen – wenn ihr also Equipment an andere verleast – sowie Franchising und finanzierte Emissionen runden die nachgelagerten Kategorien ab. Letztere sind besonders für Banken und Investmentgesellschaften relevant, die über ihre Finanzierungen indirekt Emissionen verantworten.

Warum Scope 3 oft unterschätzt wird – und gleichzeitig entscheidend ist

Die vorgelagerten und nachgelagerten Kategorien wirken auf den ersten Blick akademisch, doch die Differenzierung hat praktischen Wert. Ein Einzelhändler hat typischerweise massive vorgelagerte Scope-3-Emissionen (eingekaufte Waren), aber kaum nachgelagerte – seine Produkte werden konsumiert, nicht weiterverarbeitet. Eine Bank hingegen hat minimale vorgelagerte Emissionen, aber potenziell enorme nachgelagerte finanzierte Emissionen durch Kredite an emissionsintensive Industrien.

Gerade für KMU stellt sich oft die Frage: Wie viel Scope 3 brauche ich eigentlich? Die Antwort hängt von Branche, Größe und Geschäftsmodell ab. Wer primär Dienstleistungen erbringt und keine physischen Produkte verkauft, kommt mit einer fokussierten Scope-3-Betrachtung oft weiter als ein produzierendes Unternehmen mit komplexer Lieferkette.

Aktuelle Entwicklungen 2024/2025: Strengere Vorgaben und höhere Datenqualität

Die Grundlogik der Scopes bleibt stabil, doch die regulatorischen und methodischen Anforderungen ziehen spürbar an. Gleich mehrere parallele Entwicklungen verschärfen den Druck auf Unternehmen, ihre Emissionserfassung zu professionalisieren.

GHG Protocol: Der Update-Prozess läuft

Das GHG Protocol durchläuft derzeit eine umfassende Überarbeitung, die sich über mehrere Jahre erstreckt. Es geht dabei nicht um eine fundamentale Neudefinition von Scope 1, 2 und 3, sondern um präzisere Regeln zu Systemgrenzen, Berechnungsmethoden und Datenqualität. Besonders im Scope-3-Standard werden Vereinfachungen und erlaubte Näherungsverfahren klarer definiert. Wer bisher mit sehr groben Durchschnittswerten gearbeitet hat, wird sich mittelfristig auf höhere Dokumentationsanforderungen einstellen müssen.

Für kleinere Unternehmen soll der Prozess allerdings nicht zur Überforderung führen. Das GHG Protocol arbeitet daran, pragmatische Leitfäden zu entwickeln, die auch ohne tiefes Expertenwissen eine prüffähige CO₂-Bilanz ermöglichen. Die Tendenz geht klar in Richtung methodischer Konsistenz bei gleichzeitig praktikabler Umsetzung.

CSRD und ESRS: Scope 3 wird zur Pflicht

Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) rollt in der EU schrittweise aus und verlangt eine deutlich umfassendere Offenlegung von Klimainformationen als bisherige Regularien. Scope 1 und Scope 2 müssen vollständig berichtet werden, Scope 3 dort, wo es wesentlich ist. Diese Wesentlichkeitsanalyse ist keine Formalie – sie erfordert eine fundierte Auseinandersetzung mit der gesamten Wertschöpfungskette.

Auch Unternehmen, die nicht direkt unter die CSRD fallen, spüren den Druck. Größere Kunden fordern zunehmend Scope-3-Daten von ihren Zulieferern, um ihre eigenen Berichtspflichten erfüllen zu können. Wer heute noch keine strukturierte Datenerfassung hat, wird morgen zum Engpass in der Lieferkette. Die CSRD-Berichtspflicht für Unternehmen schafft faktisch eine Sogwirkung, die weit über die unmittelbar berichtspflichtigen Organisationen hinausreicht.

Science Based Targets Initiative: Scope 3 als Kernstück glaubwürdiger Klimaziele

Die SBTi verschärft ihre Anforderungen an Scope-3-Ziele kontinuierlich. Unternehmen, die sich wissenschaftsbasierte Reduktionsziele setzen wollen, müssen mittlerweile einen substanziellen Teil ihrer Wertschöpfungskette abdecken. Scope 3 als „optionalen Anhang" zu behandeln, funktioniert nicht mehr. Stattdessen verlangt die SBTi spezifische Reduktionspläne und einen klaren Fahrplan zur Verbesserung der Datenqualität.

Das bedeutet konkret: Wer glaubwürdig Klimaneutralität anstrebt, muss sich mit Lieferanten auseinandersetzen, Nutzungsemissionen modellieren und End-of-Life-Szenarien durchdenken. Die Zeiten vager Absichtserklärungen sind vorbei – gefragt sind messbare Maßnahmen und transparente Fortschrittsdokumentation.

Messung und Berechnung: Methoden, Datenquellen und praktische Herausforderungen

Die konzeptionelle Trennung in Scope 1, 2 und 3 ist das eine – die praktische Messung das andere. Dabei stehen Unternehmen vor einer ganzen Reihe methodischer Entscheidungen und datentechnischer Hürden.

Aktivitätsdaten sammeln: Die Basis jeder Berechnung

Am Anfang steht immer die Erfassung von Aktivitätsdaten. Das sind die konkreten Mengen verbrauchter Ressourcen oder genutzter Dienstleistungen: Wie viel Diesel wurde getankt? Wie viele Kilowattstunden Strom bezogen? Wie viele Tonnen Material eingekauft? Bei Scope 1 und 2 liegen diese Daten oft bereits strukturiert vor – in Tankbelegen, Stromrechnungen oder Wartungsprotokollen.

Bei Scope 3 wird es deutlich aufwendiger. Lieferanten müssen befragt werden, Logistikdienstleister sollen Transportkilometer dokumentieren, Mitarbeitende ihre Pendelstrecken angeben. Viele dieser Datenquellen sind dezentral, unstrukturiert oder schlicht nicht vorhanden. Gerade kleinere Zulieferer haben oft selbst keine CO₂-Bilanz und können entsprechend keine produktspezifischen Emissionsdaten liefern.

Emissionsfaktoren anwenden: Von Primärdaten bis zu generischen Durchschnittswerten

Sobald die Aktivitätsdaten vorliegen, werden sie mit Emissionsfaktoren multipliziert. Diese Faktoren geben an, wie viel CO₂-Äquivalent pro Einheit freigesetzt wird – beispielsweise Kilogramm CO₂ pro Liter Diesel oder pro Kilowattstunde Strom. Hier gibt es unterschiedliche Qualitätsstufen:

Primärdaten stammen direkt vom Lieferanten oder Hersteller und beziehen sich auf ein konkretes Produkt. Das ist der Goldstandard, aber selten verfügbar. Sekundärdaten nutzen branchenspezifische Durchschnittswerte aus Datenbanken wie Ecoinvent oder Exiobase. Diese sind deutlich leichter zugänglich, bilden aber naturgemäß keine produktspezifischen Besonderheiten ab. Spend-basierte Ansätze rechnen mit Geldbeträgen und durchschnittlichen Emissionsintensitäten pro Euro Umsatz – eine Notlösung, wenn weder Mengen noch spezifische Emissionsfaktoren verfügbar sind.

Die Datenqualität variiert also erheblich, und genau das ist eine der größten Herausforderungen in der Scope-3-Bilanzierung. Wer mit groben Schätzungen arbeitet, erfüllt zwar formal die Berichtspflicht, kann aber keine präzisen Reduktionsmaßnahmen ableiten. Wer hingegen auf Primärdaten besteht, wird bei komplexen Lieferketten schnell an Grenzen stoßen.

Die Herausforderung Scope 3: Datenqualität und Systemgrenzen

Scope 3 bringt noch zwei weitere Schwierigkeiten mit sich: Wo ziehe ich die Grenze, und wie gehe ich mit Datenlücken um? Theoretisch müsste man die gesamte Wertschöpfungskette bis ins letzte Glied verfolgen. Praktisch führt das schnell zu absurden Situationen. Soll ein Softwareunternehmen die Emissionen der Kohlemine bilanzieren, aus der das Metall für die Server stammt, auf denen die Software läuft?

Das GHG Protocol empfiehlt eine Wesentlichkeitsanalyse: Welche Scope-3-Kategorien tragen substantiell zur Gesamtbilanz bei? Dort sollte der Fokus liegen. Kategorien mit vernachlässigbarem Beitrag können mit Näherungsverfahren oder gar nicht erfasst werden. Diese Priorisierung erfordert allerdings eine erste grobe Schätzung – ein klassisches Henne-Ei-Problem.

Datenlücken sind unvermeidlich, besonders in den ersten Bilanzierungsjahren. Hier hilft nur Transparenz: Wo wurden Annahmen getroffen? Welche Kategorien basieren auf robusten Daten, welche auf groben Schätzungen? Audits und externe Prüfungen verlangen genau diese Dokumentation. Automatisiertes CO₂-Reporting kann hier helfen, Konsistenz zu gewährleisten und Fehlerquellen zu reduzieren.

Anforderungen an Unternehmen: Was muss erfasst werden – und was ist optional?

Das GHG Protocol schreibt die vollständige Erfassung von Scope 1 und Scope 2 vor. Hier gibt es keine Ausnahmen. Scope 3 hingegen ist formal optional, aber diese Optionalität wird zunehmend zur Theorie. Denn wenn die wesentlichen Emissionsquellen in Scope 3 liegen – und das ist bei den meisten Unternehmen der Fall –, dann wird aus der Option faktisch eine Pflicht.

Studien zeigen immer wieder, dass Scope 3 oft den weitaus größten Anteil der gesamten Treibhausgasemissionen ausmacht. Bei Einzelhändlern, Dienstleistern oder Finanzinstituten liegt der Scope-3-Anteil regelmäßig im dominanten Bereich. Selbst produzierende Unternehmen haben häufig mehr Emissionen in der Lieferkette als am eigenen Standort. Das bedeutet: Wer Scope 3 ignoriert, bilanziert am eigentlichen Problem vorbei.

Interessanterweise liegt genau hier auch die größte Chance. Denn wo die meisten Emissionen anfallen, gibt es auch das größte Reduktionspotenzial. Lieferanten können zu klimafreundlicheren Alternativen gewechselt werden, Produktdesigns lassen sich auf Langlebigkeit und Recyclingfähigkeit optimieren, Logistikketten können effizienter gestaltet werden. Doch all das setzt voraus, dass die Emissionen überhaupt sichtbar sind.

Die CSRD und zunehmend auch Banken, Investoren und Großkunden verlangen eine systematische Scope-3-Bilanzierung. Wer jetzt noch mit Excel-Listen arbeitet oder die Lieferkette ausklammert, wird in absehbarer Zeit vor einem Problem stehen. Denn Audits und externe Prüfungen werden strenger, und die Zeiten, in denen grobe Schätzungen akzeptiert wurden, laufen aus.

Praxisrelevanz für KMU: Zwischen Compliance-Druck und echten Chancen

Für kleine und mittlere Unternehmen stellt sich die Scope-Frage oft anders als für Konzerne. Ihr habt selten eigene Nachhaltigkeitsabteilungen, keine IT-Teams für Datenintegration und meist auch keine üppigen Budgets für externe Berater. Gleichzeitig steigen die Anforderungen – durch Lieferkettenanfragen, Bankgespräche und regulatorische Entwicklungen.

Die gute Nachricht: Scope-1- und Scope-2-Emissionen sind für die meisten KMU überschaubar zu erfassen. Tankbelege, Stromrechnungen und Gasabrechnungen liegen vor, die Daten sind strukturiert. Mit den richtigen Emissionsfaktoren lässt sich daraus in kurzer Zeit eine solide Basis schaffen. Eine CO₂-Bilanz in sieben Tagen ist für viele KMU realistisch – zumindest für Scope 1 und 2.

Scope 3 erfordert mehr Aufwand, aber auch hier gibt es pragmatische Ansätze. Nicht jede der 15 Kategorien ist für jedes Unternehmen gleichermaßen relevant. Dienstleister ohne physische Produkte können nachgelagerte Kategorien oft ausklammern. Handwerksbetriebe mit lokaler Wertschöpfung haben überschaubare Lieferketten. Die Kunst liegt darin, den Fokus auf die wesentlichen Emissionsquellen zu legen und nicht in Detailperfektionismus zu verfallen.

Zunehmend unterstützen automatisierte Plattformen dabei, Daten aus bestehenden Systemen zu ziehen – aus Buchhaltungssoftware, ERP-Systemen oder Banking-Schnittstellen. KI-gestützte CO₂-Bilanzierung kann Emissionsfaktoren vorschlagen, Plausibilitätsprüfungen durchführen und Hotspots identifizieren. Das reduziert den manuellen Aufwand erheblich und verbessert gleichzeitig die Datenqualität.

Scope 4: Vermiedene Emissionen als ergänzendes Konzept

Neben den etablierten Kategorien Scope 1, 2 und 3 taucht gelegentlich der Begriff Scope 4 auf. Damit sind vermiedene Emissionen gemeint – also Treibhausgase, die durch den Einsatz eines Produkts oder einer Dienstleistung an anderer Stelle eingespart werden. Ein klassisches Beispiel sind Videokonferenzlösungen, die Flugreisen ersetzen, oder Homeoffice-Angebote, die das Pendeln reduzieren.

Methodisch ist Scope 4 umstritten. Das GHG Protocol erkennt vermiedene Emissionen bisher nicht offiziell an, weil die Abgrenzung schwierig ist: Was wäre ohne das Produkt tatsächlich passiert? Welche Baseline ist angemessen? Dennoch gewinnt das Konzept an Bedeutung, insbesondere bei Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf Effizienz und Substitution basiert.

Die Science Based Targets Initiative und CDP verlangen derzeit keine Berichterstattung zu Scope 4, aber das könnte sich ändern. Für KMU ist das Thema aktuell eher nachrangig – Scope 1, 2 und 3 bieten genug Herausforderungen und Chancen.

Fazit: Transparenz als Voraussetzung für echte Dekarbonisierung

Die Einteilung in Scope 1, Scope 2 und Scope 3 mag auf den ersten Blick wie technische Erbsenzählerei wirken, ist aber das Fundament jeder ernsthaften Klimastrategie. Ohne klare Kategorisierung keine vergleichbaren Bilanzen, ohne vergleichbare Bilanzen keine sinnvollen Reduktionsziele, ohne Reduktionsziele keine glaubwürdige Dekarbonisierung.

Die aktuellen Entwicklungen – GHG-Protocol-Update, CSRD-Ausrollungen, SBTi-Verschärfungen – zeigen deutlich: Die Anforderungen steigen, und zwar nicht nur für Konzerne. Auch KMU werden über Lieferketten, Banken und Kunden in die Verantwortung genommen. Wer heute investiert in strukturierte Datenerfassung und automatisierte Prozesse, spart morgen Zeit, Geld und Nerven.

Dabei geht es nicht nur um Compliance. Unternehmen, die ihre Scope-3-Emissionen kennen, identifizieren Kostentreiber, Lieferantenrisiken und Effizienzpotenziale. Sie können fundiert entscheiden, wo Reduktionsmaßnahmen den größten Hebel haben. Und sie positionieren sich als verlässliche Partner in einer Wirtschaft, die zunehmend Klimatransparenz voraussetzt.

Mit automatisierter CO₂-Bilanzierung für KMU lässt sich der Einstieg heute deutlich schneller und kostengünstiger bewältigen als noch vor wenigen Jahren. Die Technik ist da, die Regularien setzen den Rahmen – jetzt geht es um pragmatische Umsetzung.

Häufige Fragen (FAQ)

Was ist der Unterschied zwischen Scope 1, Scope 2 und Scope 3 Emissionen?

Scope 1 umfasst direkte Emissionen aus Quellen, die euer Unternehmen besitzt oder kontrolliert – etwa Verbrennung in eigenen Anlagen oder Fahrzeugen. Scope 2 erfasst indirekte Emissionen aus eingekaufter Energie wie Strom oder Fernwärme. Scope 3 deckt alle anderen indirekten Emissionen entlang der Wertschöpfungskette ab, sowohl vorgelagert (Lieferanten, Einkauf) als auch nachgelagert (Nutzung verkaufter Produkte, Transport).

Müssen KMU wirklich Scope 3 bilanzieren?

Das GHG Protocol macht Scope 3 formal optional, aber die Praxis sieht anders aus. Die CSRD verlangt Scope-3-Offenlegung dort, wo es wesentlich ist. Zudem fordern immer mehr Großkunden Scope-3-Daten von ihren Zulieferern. Wer sich dem verschließt, riskiert Wettbewerbsnachteile und Probleme bei Audits oder Bankfinanzierungen. Pragmatisch solltet ihr zumindest die relevanten Kategorien erfassen – nicht zwingend alle 15.

Wie erfasse ich Scope-3-Emissionen, wenn meine Lieferanten keine Daten liefern?

Das ist eine häufige Herausforderung. Ihr könnt mit spend-basierten Ansätzen starten, also Emissionsintensitäten pro ausgegebenem Euro nutzen. Das ist weniger präzise, aber ein legitimer Einstieg. Parallel solltet ihr systematisch Lieferanten ansprechen und nach produktspezifischen Daten fragen. Viele größere Lieferanten haben mittlerweile eigene CO₂-Bilanzen. Automatisierte Plattformen können auch branchenspezifische Durchschnittswerte vorschlagen und so Lücken überbrücken.

Was bedeutet der GHG-Protocol-Update für unsere bestehende CO₂-Bilanz?

Das Update präzisiert vor allem Berechnungsmethoden und Dokumentationsanforderungen, ändert aber nicht die Grundstruktur der Scopes. Wenn ihr bereits nach GHG Protocol bilanziert, müsst ihr mittelfristig eure Datenqualität und Methodik dokumentieren können. Grobe Schätzungen werden weniger akzeptiert, dafür gibt es klarere Leitfäden für pragmatische Näherungsverfahren. Plant am besten Zeit ein für eine Methodenreview in den kommenden ein bis zwei Jahren.

Wie unterscheiden sich location-based und market-based Scope-2-Berechnungen?

Location-based rechnet mit dem durchschnittlichen Emissionsfaktor des Stromnetzes, aus dem ihr bezieht. Market-based berücksichtigt, welchen Strom ihr tatsächlich einkauft – etwa Ökostrom mit Herkunftsnachweisen. Das GHG Protocol verlangt mittlerweile beide Werte. So bleibt transparent, wie viel Reduktion aus Infrastrukturänderungen stammt und wie viel aus strategischem Energieeinkauf.

Lohnt sich der Aufwand für eine detaillierte Scope-3-Bilanzierung überhaupt?

Absolut, allerdings solltet ihr den Aufwand dosieren. Fangt mit einer Wesentlichkeitsanalyse an: Welche Scope-3-Kategorien tragen substantiell zur Gesamtbilanz bei? Dort lohnt sich Detailarbeit. Kategorien mit vernachlässigbarem Beitrag könnt ihr mit Näherungsverfahren erfassen. Der Nutzen liegt nicht nur in Compliance, sondern auch in der Identifikation von Kostensenkungs- und Effizienzpotenzialen. Viele KMU berichten von messbaren Einsparungen nach der ersten systematischen CO₂-Bilanz.

Wie audit-sicher sind Scope-3-Daten mit vielen Schätzungen?

Audits verlangen keine perfekten Primärdaten für jede Position, aber sie erwarten nachvollziehbare Methodik und transparente Dokumentation. Wo habt ihr Annahmen getroffen? Welche Emissionsfaktoren verwendet? Warum diese Systemgrenzen gezogen? Solange ihr eure Vorgehensweise begründen könnt und methodisch konsistent bleibt, sind auch Schätzungen prüfbar. Kritisch wird es, wenn die Methodik zwischen Jahren hin- und herspringt oder zentrale Annahmen nicht dokumentiert sind.

Kann ich meine Excel-Lösung für Scope 1 und 2 behalten und nur Scope 3 automatisieren?

Theoretisch ja, praktisch wird das schnell unübersichtlich. Excel funktioniert für erste Gehversuche, stößt aber bei Scope 3 an Grenzen – zu viele Datenquellen, zu komplexe Berechnungen, zu fehleranfällig. Der Wechsel zu automatisierten Systemen lohnt sich meist, sobald ihr mehr als eine Handvoll Scope-3-Kategorien erfasst oder jährliche Audits anstehen. Integrierte Plattformen reduzieren Fehlerquoten und sparen langfristig Zeit.

Quellen

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World Resources Institute & World Business Council for Sustainable Development. (1998). Greenhouse Gas Protocol. Initiierung des GHG Protocol.

Johannes Fiegenbaum
Johannes Fiegenbaum Strategy & Sustainability Advisor, multiplye.ai Mehr über mich

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